Bäuertgemeinde Adlemsried

Erfolgsgeschichte einer mittelalterlichen Organisation

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Das Bäuertwesen

Was ist eine Bäuert?

Wikipedia sagt unter anderem folgendes: Die Bäuerten entstanden aus den mittelalterlichen Versammlungen der Bauern, welche nach demokratischen Spielregeln die Nutzung ihrer gemeinsamen Güter regelten (Wälder, Alpen, Allmenden etc.)
Bäuerten gibt es im ganzen Berner Oberland. Als exemplarisches Beispiel beschreiben wir hier die Bäuert Adlemsried im Simmental.
Wald und Allmenden decken eine Fläche von etwa 4Km2. Das ist das Gut, das allen gehört und gemeinsam bewirtschaftet wird. Die Berechtigten bewohnen und bewirtschaften privat eine Fläche von etwa 2Km2. Beteiligt sind die Eigentümer von 49 Häusern. Das Verzeichnis der Allmendberechtigten hat 63 Einträge.

Wann sind die Bäuerten entstanden?

Die Landnahme unter alemannischem Kultureinfluss fand im Berner Oberland etwa im 8. Und 9. Jahrhundert statt. Wenn man also nach frühen Organisationsformen der Landbevölkerung sucht, würde man die am ersten in der Capitulare de villis von Karl dem Grossen finden; wenigstens ist das die Meinung eines deutschen Archäologen: Bei der Besichtigung einer Ruine beim Bahnhof in Oberwil fand er eindeutige Anzeichen von Hof - und Gartenwirtschaft nach Weisungen Karls des Grossen. Das Gebiet war also ursprünglich reichsferne Provinz. Später könnte man von unrentablem Gebiet von Freiherren sprechen, die schon bald durch Abwesenheit glänzten. Dann kamen die Vögte der Stadt Bern, die Tschachtlane, die selber nicht so recht wussten, wie es im Oberland lief, wenn sie auf dem Schloss in Blankenburg Einsitz nahmen; jedenfalls stand in ihrem Pflichtenheft folgender Satz geschrieben: "Was er nicht weiss oder findet, das erfragt er".

Es scheint, dass die Landleute unter diesen Bedingungen die Bewirtschaftung von Wald und Allmenden selbstständig regelten und sich die Inhaber der Herrschaft kaum einmischten. Über die Wirtschaftsweise hiess es dann etwa, dass diese nach alter Gewohnheit und guten Übungen geschehe und dies auch weiterhin so zu handhaben sei. Die Bäuerten, wie wir sie heute kennen, sind irgendeinmal zwischen den Jahren 1425 und 1488 entstanden, und zwar als kleinste Verwaltungseinheit im oberländischen Untertanengebiet der Stadt Bern. Das kann man indirekt aus den bernischen Urbarien schliessen.

Warum gibt es die Bäuerten auch heute noch?

Die Bäuerten im Berner Oberland existieren in ihrem Kern auch heute noch unverändert und haben Gesellschaftliche Umwälzungen und moderne Gesetzgebung überstanden. Das muss seine Gründe haben.

Zum einen haben sich die Landleute stark mit ihrer Bäuert identifiziert. Diese starke Identifikation dauert bis heute an und gipfelt sozusagen im Bäuertfest, das man mit einem städtischen Quartierfest vergleichen könnte und das besser besucht wird als die 1. Augustfeier der Gemeinde.

Weiter waren die Landleute politisch in die sogenannte Landschaft eingebunden, in unserem Fall in die Landschaft Obersimmental. Die Landschaft konnte sich unter dem Patronat der Stadt Bern ihre Gesetze selber schaffen und im Obersimmentalischen Landrecht festhalten. In den Bäuerten wurden dann die Beschlüsse der Landsgemeinde umgesetzt, allerdings mit den notwendigen Korrekturen. Ein Beispiel: An der Landsgemeinde in Zweisimmen wurde beschlossen, dass man Schweine, die dort angetroffen wurden, wo sie nicht hingehörten, ungestraft mit Steinen totwerfen durfte. Die Umsetzung in der Bäuert Adlemsried sah dann etwas anders aus: Man hat die Schweine auf Kosten des Besitzers eingefangen und beringt. Daneben gab es eine Busse. Im Laufe der Zeit bekamen die Bäuerten Aufgaben, die heute Gemeindesache sind: Das Schulwesen, Schulhäuser samt Versorgung der Lehrer mit Pflanzland und Brennholz, dann das Armenwesen und gewisse polizeiliche Aufgaben wie Feuerschau, Viehkontrolle oder auch die Aufsicht über die Waldnutzung. Heute sind sie aber weitgehend wieder auf ihr Kerngeschäft reduziert: die gemeinsame Bewirtschaftung von Wald und Weiden. Die letzten Bäuerten, nämlich die im Diemtigtal, haben erst kürzlich das Schulwesen der politischen Gemeinde übertragen.

Das alles erklärt die erstaunliche Überlebensfähigkeit der Bäuerten nicht ganz. Daran ändert auch der Hinweis auf die potenziell konservative Haltung der Landbevölkerung nichts und auch nicht der Hinweis auf die guten alten Bräuche und Übungen und auch nicht der Umstand, dass früher "Schengenraum" und "Freihandelszone" spätestens an der Grenze der Landschaft aufgehörten. Es gibt Umstände, die zwingend sind:

Die Berechtigung an der Allmend ist nicht an Personen und Familien gebunden, sondern an Grund und Boden und an die Wohnstätten und ist untrennbar mit diesen verbunden. Hier ein Beispiel, wie sich das auswirkt: Ein Holländer hat vor ein paar Jahren ein über 300 Jahre altes Haus gekauft und ist damit vollwertiges Mitglied der Bäuert geworden. Berechtigt ist im Grunde eben nicht der Holländer, sondern das Haus, wenn es darum geht, im Wald Holz zu beziehen und der Umschwung, wenn es darum geht, Vieh auf die Allmend zu treiben. Und weil das Haus das Recht nicht selber ausüben kann, tut es halt der Besitzer. Das bedeutet nichts anderes, als dass Leute und Familien austauschbar sind.

So einfach war das früher natürlich nicht. Dieser Mann hätte schon aus der gleichen Landschaft stammen müssen oder zumindest aus einer anderen, mit der man bilaterale Verträge hatte, um überhaupt als Bäuertmann akzeptiert zu werden. Das war nämlich die Voraussetzung, dass er seine wohlerworbenen dinglichen Rechte auch wahrnehmen konnte.

Aus diesen beschriebenen Umständen leitet sich jetzt ab, dass es praktisch unmöglich ist, die Bäuert Adlemsried einfach aufzulösen: Weil der Nutzen an Wald und Allmenden sozusagen Bestandteil des Privateigentums ist, müsste der Hinterste und Letzte mit der Auflösung einverstanden sein. Und das wird nicht so schnell eintreten. Die Gesetzgebung ignoriert zwar das Bäuertwesen, schützt es aber trotzdem, und zwar indirekt über das Privateigentum.

Das Sey- und Summungsbuch

Ein weiterer Aspekt, warum die Bäuerten überlebten, ist sicher auch, dass sie in der Lage sind, ihre Güter nachhaltig zu bewirtschaften. Jeder Bauer oder Agrarexperte weiss, dass bei dauernder Uebernutzung des Landes der Ertrag massiv zurück geht. Im Oberland hatte "schon immer" der Grundsatz gegolten, dass jeder so viel Vieh auf die Allmend treiben darf, wie er auf seinem Privatland bzw. mit seinem Heustock überwintern kann. Fremde Tier oder Tiere, die erst im Frühjahr angeschafft wurden, hatten auf der Allmend (im Prinzip) nichts verloren. Damit verhindert man die Uebernutzung mit all ihren negativen Folgen.

Als im 15. Und 16. Jahrhundert nebst Schafen und Ziegen vermehrt Grossvieh und Pferde gehalten wurde, genügte die Winterung als Massstab für die Bestossung der Allmend nicht mehr. Es war nicht mehr so einfach zu kontrollieren, ob die Tiere den Winter wirklich in einem Scheuerchen innerhalb der Bäuert verbracht hatten. In Adlemsried wurde darum im Jahr 1558 die Ertragsfähigkeit sämtlicher Grundstücke bestimmt, die Weiderechte proportional zugeteilt und im sogenannten Sey und Summungsbuch festgeschrieben.

Nach mündlicher Ueberlieferung haben einige Leute damals Gerätschaften und Schlitten unter dem Heu versteckt, um einen grösseren Ertrag nachzuweisen. Das ist natürlich frei erfunden.

Diese erste Bestandesaufnahme ist bis heute unverändert gültig. Man hat sie aber periodisch auf den neusten Stand gebracht und die neuen Besitzer der Grundstücke aufgelistet.

Gerechtigkeit

Wer viel Land besass, hatte also auch viel Anteil am gemeinsamen Eigentum. Es gab aber noch die sog. Haus- oder Feuerstattrechte: Jede Haushaltungen hatte -unabhängig vom Landbesitz- das Recht, Ziegen und Schafe und mindestens eine Kuh auf die Allmend zu treiben. Später im 19. Jh stellte man den Landlosen zusätzliches Pflanzland zur Verfügung. Allerdings verliefen solche Anpassungen nicht schmerzlos und Arme, die um Rechte kämpften, wurden schon damals als Kommunisten beschimpft. Mehr Anrecht bekamen sie nur, wenn sie höflich darum baten.

Die Bäuertgemeinden bekamen im 19. Jahrhundert zum ersten Mal verbindliche Reglemente. Dahinter standen nicht zuletzt auch Staatsinteressen: Es galt, die Einführung einer Grundsteuer vorzubereiten. Ausserdem war der Kanton bestrebt, einen Teil der Bäuertwälder für sich zu kassieren. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Bäuert heute

Soziale Konflikte gibt es nicht mehr, weil die früheren Landlosen anderweitig Beschäftigung gefunden haben und inzwischen besser dran sind als viele Bauern. Trotzdem taucht die Frage nach der ungleichen Verteilung der Rechten am gemeinsamen Eigentum immer wieder auf. Es sind damit aber keine existenziellen Fragen mehr verbunden.

Der Ziegenhirt bläst sein Horn schon lange nicht mehr. Zuerst stellte sich niemand mehr zur Verfügung wegen der Mobilmachung im 2. Weltkrieg, später war der Personalmangel konjunkturbedingt. Damit verschwanden auch die Bäuert-Ziegen . Den Heimkuhmelker, der früher im Sommer die Dörfchen mit Milch versorgte, gibt es aus den ähnlichen Gründen auch nicht mehr. Aber bei einer Revision der Reglemente wurden die betreffenden Rechte nicht angetastet. Es wäre also im Sinne eines höheren Selbstversorgungsgrades jederzeit möglich, hier zur alten Wirtschaftsweise zurück zu kehren.

Finanziell ist die Bäuert gesund, dies dank sparsamem Wirtschaften in Verbindung mit Subventionen an die Allmend. Die Waldwirtschaft ist als direkte Folge des freien Welthandels unrentabel geworden, wird aber mit subventionierten Projekten am Tropf gehalten. Das ermöglicht immerhin die notwendige Waldpflege, wobei diese Arbeiten immer noch hauptsächlich von Bäuertleuten ausgeführt werden, die dabei Verdienst finden.

Weiterhin bedeutsam sind die Gemeindewerke: Die Bäuertleute müssen proportional zu ihren Bäuert-Rechten eine bestimmte Zeit abarbeiten. Wenn es um Schlagräumung im Wald, um Wegunterhalt oder Gebäudereparaturen etc. geht, macht man das wenn möglich im Rahmen eines gemeinsamen Arbeitseinsatzes, auch zusammen mit lokalen Unternehmern, die die notwendigen Maschinen haben. Das ist kostengünstiger, als wenn man für jede notwendige Aktion einen Fachmann fragen muss. Ausserdem fördert die gemeinsame Arbeit den sozialen Zusammenhalt. Wichtig ist natürlich, dass der betreffende Ressortchef in der Mittagpause eine Kiste Bier vorbeibringt.

Sicher sind die Bäuerten weiterhin wichtig für die Gesellschaft, weil sie ihre Weiden und Wälder pflegen und damit eine uralte Kulturlandschaft erhalten. Diese Aufgaben kann man nicht so ohne weiteres an Private übertragen und die Allgemeinheit würde in den Bergen ganz einfach an den hohen Kosten scheitern. Es gibt aber noch einen sozialen Aspekt, der eher neu ist: Es macht immer wieder Freude, wenn sich Neuzuzüger für diese alte Organisationsform interessieren und sich auch damit identifizieren. Offensichtlich wirkt die Bäuert mit ihrem folkloristisch- nostalgischen Flair identitätsbildend. Und aus der Mischung von alten Bäuertgenossen, die das Bäuertwesen im Hirn eingeprägt haben wie die Rillen einer Schallplatte und frischen Leuten mit anderer Sichtweise kann etwas Neues entstehen. Das heisst, die Bäuert könnte bei Bedarf lokal neue Aufgaben übernehmen, dort wo sich die staatlichen Institutionen nicht darum kümmern, sozusagen als Keimzelle für eine notwendige Erneuerung der Gesellschaft. Vorausgesetzt, die Bäuerten bleiben weiterhin bestehen. Und das ist nur schon aufgrund der langen Geschichte anzunehmen.

Bäuertgemeinde und Politische Gemeinde

Es wäre falsch anzunehmen, die "Gemischte Gemeinde Boltigen", auf deren Gebiet die Bäuertgemeinde Adlemsried liegt, sei aus den Bäuerten entstanden. Viel mehr ist sie Nachfolgerin von "Gerichtsbezirk" und "Kirchhöre", übernahm aber im Laufe der Zeit fast alle öffentlichen Aufgaben der Bäuerten, welche dadurch von "öffentlichrechtlich" auf "privatrechtlich" zurückgestuft wurden.

Die Bäuerten wurden zwar als Unterabteilungen der Gemeinde geführt und hatten Anspruch auf Vertreter in Behörde und Kommissionen, aber dieser Bezug ist inzwischen weitgehend aufgehoben.

Das hat nun Folgen für die allgemeinen Perzeption der Lokalgeschichte, weil die Bäuerten zusehens aus geschichtlichen Texten entfernt werden: In der Rubrik "Geschichte" auf den offiziellen Webseiten der Gemeinden im Simmental kommt der Ausdruck "Bäuert" bloss noch ein einziges Mal vor.

Mit diesem Internetauftritt der Bäuert Adlemsried, welche schwergewichtig geschichtliche Themen behandelt, soll diesem partiellen Gedächtnisschwund entgegengewirkt werden.

U. Erb


© Ulrich Erb, Adlemsried 94, 3766 Boltigen Tel: 033 773 61 91 e-mail:ulrich.erb@gmx.ch

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